Sie wollen älteren Menschen Lebensfreude schenken

Sie wollen älteren Menschen Lebensfreude schenken

Der Verein anemonen steht ein für Menschlichkeit gegenüber Seniorinnen und Senioren. Mit konkreter Hilfe wollen
Peter Thomi, Hans-Rudolf Sutter und Fredy Riem Not lindern und Gelegenheit für Kontakte bieten.

Drei Grenchner haben einen Traum: Sie wollen ältere Menschen in ihrem Alltag unterstützen: Sie beim Einkaufen begleiten, Botengänge erledigen, zum Arzttermin fahren, ihnen Gesellschaft leisten, ein bisschen plaudern, mal zusammen ins Restaurant gehen, einen Jass klopfen und vieles mehr. Dafür haben Peter Thomi, Fredy Riem und Hans-Peter Sutter vor knapp zwei Wochen den Verein anemonen gegründet. Im Fokus des Vereins stehen betagte Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen oder sogar unter dem Existenzminimum leben. Denn davon gebe es einige in Grenchen, sagt Peter Thomi, das habe er bei zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen festgestellt.

Sein Eindruck täuscht nicht: In der Schweiz lebt gemäss dem Schweizer Seniorenrat jeder fünfte Mensch im Rentenalter in Armut oder ist armutsgefährdet. Das seien 350 000 Personen. Eine Einzelperson mit einem Einkommen von weniger als 2259 Franken, gilt laut dem Bundesamt für Statistik hierzulande als arm. Thomi sagt, er kenne mehrere Frauen und Männer in Grenchen, die mit weniger als 2000 Franken monatlich durchkommen müssten. Wie deren Alltag bei den derzeitigen Wohnungsmieten und den Sozialkosten aussehe, könne man sich vorstellen. Thomi: «Wenn ältere Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, sich nicht mal einen Kaffee im Restaurant leisten können, gibt mir das schon zu denken.»

Das bereitet auch Fachleuten Sorgen: Anlässlich des Herbstkongresses des Schweizer Seniorenrats letzten Novemberin Biel plädierte Carlo Knöpfel, Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz, für verschiedene Reformvorschläge. Unter anderem sprach er sich für einen Ausbau der AHV aus. Zudem würde er die zweite Säule eingrenzen und das Existenzminimum von Steuern befreien. Rund 12,5 Prozent der Rentnerinnen und Rentner beziehen gemäss Knöpfel Ergänzungsleistungen zur AHV. Viele würden zu lange warten, bis sie Ergänzungsleistungen beantragen. Deshalb schlug Knöpfel vor, dass die zuständigen Behörden diese automatisch sprechen, beispielsweise aufgrund der Steuererklärung.

Freiwillige gesucht
Doch der politische Weg dauert den drei anemonen-Gründern zu lange. Sie wollen jetzt helfen. Der Verein will Bedürftigen auch finanziell unter die Arme greifen.

 

 

«Es gibt mir zu denken, wenn sich ältere Menschen nicht mal einen Kaffee leisten können.»

Peter Thomi, Präsident Verein anemonen

Deshalb sind Thomi, Riem und Sutter auf der Suche nach Gönnern und Sponsoren. Sie haund Privatpersonen zu wenden. Gleichzeitig wollen sie freiwillige Mitarbeitende als Vereinsmitglieder gewinnen. Dabei sind alle willkommen, die älteren Menschen Gutes tun wollen. Auch die drei Vereinsgründer arbeiten ohne Bezahlung ehrenamtlich und wollen ihre Dienstleistungen den Bedürftigen kostenlos anbieten, das wäre der Plan.

Hilfe vom Nachbarn
Im Vordergrund steht für Thomi, Riem und Sutter die Menschlichkeit. Diese, so finden sie, sei vielerorts abhandengekommen, das sehe man gut. ben vor, sich per Brief an Firmen und Privatpersonen zu wenden. Gleichzeitig wollen sie freiwillige Mitarbeitende als Vereinsmitglieder gewinnen. Dabei sind alle willkommen, die älteren Menschen Gutes tun wollen. Auch die drei Vereinsgründer arbeiten ohne Bezahlung ehrenamtlich und wollen ihre Dienstleistungen den Bedürftigen kostenlos anbieten, das wäre der Plan. Hilfe vom Nachbarn Im Vordergrund steht für Thomi, Riem und Sutter die Menschlichkeit. Diese, so finden sie, sei vielerorts abhandengekommen, das sehe man gut

 

 

«Um fünf bin ich wach und habe einen langen Tag vor mir.»

Hans-Rudolf Sutter, anemonen Gründe

am Beispiel der Nachbarschaftshilfe, die nach ihren Beobachtungen kaum mehr existent sei. Thomi: «Viele kennen ihre Nachbarn nicht.» Dabei kann Helfen dazu beitragen, das eigene Leben zu bereichern. Dies ist auch die Motivation des Trios. Hans-Rudolf Sutter hat sich kürzlich mit 64 pensionieren lassen. Seine innere Uhr tickt jedoch immer noch nach jener des Betriebs. «Um fünf bin ich wach und habe einen langen Tag vor mir.» Den möchte er jetzt mit einer sinnvollen Beschäftigung ausfüllen und sein Wissen älteren Menschen zur Verfügung stellen.

Peter Thomi ist 71 und hat am Beispiel seiner eigenen Eltern erfahren, was Bedürftigkeit bedeutet. Er stamme aus einer normalen Arbeiterfamilie. «Wir waren weder arm noch reich.» Doch im Alter wären die Eltern ohne die Unterstützung der beiden Söhne nicht über die Runden gekommen, sagt er.

Fredy Riem, der noch im Erwerbsleben steht, führt in Grenchen eine Druckerei. Er macht sich Gedanken über die Hürden des digitalen Zeitalters für die Betagten. Schon nur der Billettautomat am Bahnhof würde manche überfordern. Viele hätten zudem zeitlebens nie einen Computer bedienen müssen. Riem: «Was machen sie, wenn es so weit ist, dass man Zahlungen nur noch elektronisch auslösen kann?» Hier würde er, der Technikaffine, Hilfe bieten können.

 

 

«Einsamkeitist auch in der Ehe denkbar.»

François Höpflinger, Altersforscher

Menschen ansprechen
Thomi, Riem und Sutter stehen mit ihrem Verein ganz am Anfang. Eine konkrete Angebotsliste gibt es noch nicht, wohl aber einen Strauss an Ideen: Neben Hilfe in praktischen Dingen des Alltags schweben ihnen auch Kurse, Vorträge und Veranstaltungen vor, vielleicht sogar ab und an eine Busreise. Kurz: Sie wollen, dass ältere Menschen am sozialen Leben teilnehmen können.

Denn viele von ihnen, zumal jene mit wenig Geld, würden sich isolieren. Riem: «Sie sitzen alleine in ihrer Wohnung und bei würde sich bestimmt manch einer über Gesellschaft und Gespräche freuen, sagt Thomi, der mit wachen Augen durch die Welt geht und bei sich bietenden Gelegenheiten mit älteren Leuten ins Gespräch zu kommen versucht. Dabei habe er bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Fredy Riem gibt zu Bedenken, dass Kontaktfreudigkeit nicht zu den Stärken der Schweizer gehöre. Er veranschaulicht dies anhand einer Episode, als er sich in einem Restaurant alleine an einen grossen Tisch setzte. Kurz darauf seien drei weitere Gäste gekommen. «Sie haben am äussersten Ende Platz genommen, möglichst weit weg von mir.» Umso mehr habe er sich dann über die nette Plauderei gefreut, die sich mit einem Ehepaar entwickelte, das sich dann doch in seine Nähe getraute. Riem sagt, beim Verein gehe es auch da rum, Kontaktmöglichkeiten zu schaffen, damit sich Gespräche ergeben.

Einsam und isoliert
Einsamkeit und soziale Isolation sind verbreitet. Bei einer Befragung stellte das Bundesamt für Statistik fest: Fast 40 Prozent der Schweizer fühlen sich manchmal oder oft einsam. Für den Zürcher Altersforscher François Höpflinger gilt es allerdings zu beachten: «Das Gefühl von Einsamkeit und sozialerIsolation ist nicht deckungsgleich.» Letztere sei definiert als das Fehlen guter sozialer Beziehungen.

Einerseits fühlten sich aber nicht alle sozial isolierten Betagten einsam, andererseits sei Einsamkeit auch in einer Ehe denkbar. Zudem könnten soziale Isolation und Vereinsamung im hohen Lebensalter auch das Ergebnis eines gewollten sozialen Rückzugsprozesses darstellen.

anemonen-Präsident Peter Thomi und seine Mitstreiter haben sich zum Ziel gesetzt, für Menschen, die ungewollt einsam sind und Hilfe möchten, ein Angebot zu schaffen. Mit Zeitungsartikeln und Präsenz an Veranstaltungen wollen sie auf sich aufmerksam machen. Sie werden aber auch aktiv auf die Menschen zugehen. In den Restaurants der Grossverteiler Leute ansprechen und einen Flyer hinterlassen, zum Beispiel. Möglichst niederschwellig und so, dass sich keiner bedrängt fühlt.

Dass das nicht ganz einfach ist, und viel Fingerspitzengefühl benötigt, weiss Alexander Seifert, Gerontologe an der Uni Zürich: «Man muss aufpassen, dass man nicht gleich Stigmata setzt», sagt er mit Bezug auf die Zielgruppe der «anemonen», die minderbemittelten, älteren Menschen. Denn dies könne für manche bedeuten, zuzugeben: ‹Wenn ich da hingehe, habe ich ein Problem›. Er empfiehlt dem Verein daher, sein Angebot möglichst offen zu halten und «Schubladen» zu meiden. Seifert: «Alter heisst nicht automatisch, gebrechlich und finanziell schwach zu sein.»

 

«Alter heisst nicht automatisch finanziell schwach und gebrechlich zu sein.»


Alexander Seifert,Gerontologe Universität Zürich

Institutionen in der Pflicht
Für Pasqualina Perrig-Chiello sind Armut im Alter und Einsamkeit «ganz grosse Probleme unserer Gesellschaft». Beides seien gleichermassen TabuThemen, mit Scham behaftet. Sie ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie an der Uni Bern, Präsidentin der Seniorenuniversität und forscht seit Jahren zum Thema Alter. Offizielle Institutionen wie Gemeinden, Kirchgemeinden, sowie nicht gewinnorientierte Organisationen wie Pro Senectute, das Rote Kreuz und andere seien in der Pflicht.

«Diese könnten weit mehr in der aufsuchenden Arbeit für die verwundbare Gruppe der hochaltrigen Menschen tun», sagt sie.

Dass nun Private wie der Verein anemonen hier einspringen und einen eigenständigen Beitrag leiste, finde sie begrüssenswert und wertvoll. PerrigChiello: «Ihr Ansatz ist richtig und wichtig, er ist komplementär und setzt dort an, wo die Schwachstellen sind.» Er entspreche auch der Tendenz, dass man Hilfe von «unten nach oben» von Privaten aus der Nachbarschaft und den Quartieren anbiete, weil diese gezielter, effizienter und vor allem schneller sei, als jene «von oben», also Bund, Kanton und Organisationen. Diese seien schwerfälliger und schwieriger zu realisieren.

 

Die nächsten Wochen wollen Peter Thomi, Fredy Riem und Hans-Rudolf Sutter dafür nutzen, sich bei den Grenchnerinnen und Grenchnern bekannt zu machen – und sind gespannt darauf, wie sich die «anemonen» entwickeln wird.

Verein anemonen
• Präsident: Peter Thomi, Sekretär: Fredy Riem, Kassier: HansRudolf Sutter.
• Zweck: Hilfe und Unterstützung für ältere, Menschen mit wenig Geld, Soziale Vernetzung sowie Teilhabe an der Gesellschaft.
• Die Angebote sind für finanziell schwache Personen kostenlos. Sie gelten aber auch für alle anderen Senioren, die nach ihren Möglichkeiten freiwillige Beiträge leisten können.
• Der Verein sucht freiwillige Mitarbeitende. Willkommen sind alle, die älteren Menschen Gutes tun wollen sowie Sponsoren und Gönner.

Kontakt: anemonen, Postfach 1109, 2540 Grenchen
E-Mail: pesche.thomi@gmail.com
Telefon: 079 739 01 79 

Bieler Tagblatt | Freitag, 06.03.2020 von Brigitte Jeckelmann. Foto: Das aemonenTrio: Fredy Riem, Hans-Rudolf Sutter und Peter Thomi
(von links). Foto By Peter Samuel Jaggi.